„Das reine Subjekt des Erkennens des Schönen tritt ein, indem man sich vergißt, um ganz in den Dingen aufzugehen; so daß nur sie im Bewußtsein übrig bleibt“
(Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena)
Bewegung
Aufgehen in den Dingen (sowohl geistig als auch emotional): sich Auflösen in der von einem Kunstwerk ausgelösten Energie. Aufgehen: Dies bringt Bewegung, die dann wiederum Emotionen und geistige Blitze im Hirn erzwingt. Wenn diese von einem Musikstück durch Energie erzwungene Bewegung auftritt, ist die Definition meines Schönheitsideals erfüllt. Energie, die geistig und emotional Bewegung in der Psyche erzeugt, ist für mich schön. Energie, die leuchtet, aufrüttelt, die das Innere erzittern läßt. Energie, durch die in mir der Auslösungsprozess eines noch nie dagewesenen Gedankens beziehungsweise einer neuen Konstellation des in dieser Form noch nicht Dagewesenen hervorgerufen wird. Der Kern dieses neuen Gedankens ist der Nährboden für mein Schönheitsideal: Weil dieser mich auf neue Ideen bringt. Bewegung als Ideal für das durch geistige Prozesse ausgelöste, jedoch emotional Empfundene ist mir die wichtigste Erscheinungsform von Schönheit. Keine leeren, puren, weißfarbenen Wände. Alles vollspritzen mit Farbe, um dann von den aus der Nähe betrachteten Nuancen eine neue Gesamtheit des Hörbaren zu entdecken. In diesem Sinne ist Stagnation das Gegenteil des Schönen. Jedoch der Kontrast in der Zeit zwischen Stagnation und Bewegung ist wiederum ein Phänomen, das erneut Bewegung in sich birgt, also für mich schön ist. Darum sind Kontraste wie geschlossene Bewegungszellen: So kann jede miteinander kontrastierende Idee als Bewegung definiert werden. Im Detail steckt die Gesamtheit.
Radikalität als Werkzeug
Radikalität heißt für mich, sich nicht zu scheuen, musikalische Grenzen zu überschreiten: es sich selber nicht bequem zu machen – auch den Zuhörern nicht. Etwas als schön zu empfinden fordert also maximale Konzentration, für den Komponisten wie für den Zuhörer. (Die von einem Kunstwerk ausgelösten emotionalen Energien müssen daher vom Zuhörer genauso tiefgehend und radikal geistig verarbeitet werden). Nie zufrieden sein mit einer Idee, die einfach „pur“ da ist. Hineingehen. Sich durchkämpfen zu deren Kern. Wie beim Aufbrechen einer metallenen Kugel, wenn es sein muß mit aller Kraft mit einem Hammer draufschlagen. Ich will sehen, was da drin steckt, um dann das Entdeckte durch mein Handwerk zu übermitteln. Radikalität ist eines der wichtigsten Werkzeuge für meine Kompositionen. Sie ist immer da, um Bewegung zu erzeugen. Durch Radikalität sowohl gegenüber dem Ausgangsmaterial als auch gegenüber dessen Er- und Ausarbeitung erreiche ich die höchstmögliche vorhandene Energie durch und in der Musik. Die radikale Betrachtung des Kerns einer Grundidee ist die wichtigste Voraussetzung, diese Idee gut ins Hörbare zu übermitteln: durch das exzessive Ausweiden und Zerlegen dieses Kerns wird letztendlich die Erlebnisrate – worum es für mich als Zielsetzung meiner Kompositionen geht – eines Musikwerkes sehr hoch. Ich sage oft, ich schreibe keine Musik mehr, sondern Hörerlebnisse. Durch Erlebnisse löst man Emotionen aus und Erlebnisse bewegen den menschlichen Geist. Damit schließt sich der Kreis wieder mit der Bewegung, die mein künstlerisches Schönheitsideal bedeutet. Durch diese Handhabung des kreativen Prozesses und das radikale Ausarbeiten musikalischer Ausgangspunkte wird eine Art Ritualität in die Musik hineingeboren. Ritual ist alles, was wieder in der Psyche Bewegung erzeugt und durch das Ritual erreicht man das Aufgehen im Kunstwerk (siehe Zitat vom Anfang). Schönheit als solche ist in meinem Verständnis als Qualitätsmerkmal in der Musik sicherlich keineswegs verschwunden, sondern die Definition ist eine andere geworden: Ein nicht auf die Tradition gesetztes, sondern auf einem psychofuturistischen Erlebnis basierendes Ideal, das mich jedes Mal mit Freude und innerer Aufregung erfüllt, die ich durch meine Klangkunst vermitteln möchte. Da Schönheit sich als generelles und uniformisiertes Phänomen in der Musik nicht beschreiben läßt, ist hier das Definition des Empfindens des Schönen wichtiger als die objektive Festlegung: Dies oder das ist in der Musik schön. Mir persönlich erscheint die traditionelle, von vielen vertretene allgemeine - nicht nur die Musik betreffende – Definition des Schönen (Wohlklang, mit Glücksgefühlen verbunden, Makellosigkeit, Perfektion) als absurder Gedanke, da etwas als schön zu empfinden so verschieden sein kann, wie es die verschiedene und komplexe Vielfalt der Individuen auf der Erde gibt. Die Aufgabe des Künstlers ist es, Schönheit immer wieder neu zu definieren, da Kunst die Aufgabe hat, Schönheitsideale ins Leben zu rufen. Generell ist jedoch jedes Schönheitsideal kurzlebig, da die Schönheit als Subjekt sich genauso in ständiger Bewegung befindet wie das In-sich-Drehen einer Galaxie.
August 2005, in Berlin
Pèter Köszeghy
Dienstag, 22. Dezember 2009
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